Selbstreflexion für Luftartisten
Was ist das eigentlich und wie hilft mir das im Training?
In der Selbstreflexion geht es erstmal darum, dich selbst zu erkennen und zu beobachten. Denn wenn du etwas verändern willst, dann musst du dich und dein Verhalten erstmal erkennen und verstehen.
Dies gilt natürlich sowohl für deine Tricks in der Luft, wie auch für dein Mindset, das dahinter steht. Wobei es oft viel komplexer ist, unsere Denkweise zu durchschauen und neutral zu beobachten, als unsere Tricks.
Ein Beispiel:
Gehen wir mal von einem bestimmten Trick in der Luftakrobatik aus: Ein Invert.
Überkopf in die Grätsche gehen, während ich an langen Armen von meinem Luftring, Vertikaltuch oder anderem Gerät hänge.
Nun gerade bei diesem Trick gilt: Entweder es klappt auf Anhieb oder es klappt einfach überhaupt nicht.
Wenn Zweiteres der Fall ist, dann kannst du einfach wieder und wieder versuchen den Trick auszuprobieren. Vielleicht wird dein Körper durch das wiederholte Üben stärker und eignet sich eine Strategie an, trotzdem irgendwie in die Figur zu kommen. Vielleicht aber auch nicht. Ein Erfolgsversprechen gibt es hier nicht.
Lass uns jetzt mal mit Selbstreflexion an die Sache heran gehen:
Erstmal beobachtest du ganz wertungsfrei die Situation: Da ist ein Trick, den du gerne können möchtest. Es klappt aber mit deiner jetzigen Kraft/Technik/Flexibilität noch nicht.
Was du zuerst mal machen könntest: Mache ein Video oder Foto von deinem Versuch in die Figur zu kommen und schau es dir an (Ja, sich selbst auf Bildern anzusehen, und dabei vielleicht noch zu entdecken was man noch nicht so gut macht ist erstmal unangenehm. Aber an diesem Punkt kommen wir nicht vorbei, wenn wir erkennen wollen, was das Problem ist. Und wenn wir das Problem nicht erkennen, dann können wir es auch nicht lösen.
)
Also nehmen wir mal an, du siehst dir das Bild an und entdeckst, dass deine Beine nicht so gestreckt sind, wie sie sein sollten.
Probiere es nochmal aus und achte dabei darauf, diese Veränderung umzusetzen. Vielleicht sieht die Sache jetzt schon ganz anders aus und der Invert ist gar nicht mehr so weit weg. Oder vielleicht erkennst du aber dabei, dass deine fehlende Kraft oder Flexibilität dir gar nicht erlaubt, die Beine in der Position zu strecken. Auch das ist natürlich erstmal ernüchternd. Aber du hast eine wichtige und wertvolle Erkenntnis dazugewonnen: Um diesen Trick realisieren zu können, musst du erst an deiner Kraft und Technik arbeiten.
Weißt du welche Übungen dafür geeignet sind? Ja? Dann nichts wie los und ran ans Training. Nein? Auch wieder eine wertvolle Einsicht. Du weißt jetzt, dass du einen Trick lernen möchtest, für den dir die Kraft und Flexibilität fehlt und du weißt auch, dass du keine Ahnung hast, wie du daran arbeiten kannst. Was für eine großartige Einladung dich mehr mit deinem Körper und nachhaltigem Training auseinander zu setzen. Vielleicht triffst du auf dieser Reise ja auf spannende Trainer*innen oder andere Artist*innen, die dir dabei helfen können, oder vielleicht sogar die gleichen Ziele haben.
Schritt für Schritt wirst du es schaffen, und nebenbei hast du wahrscheinlich noch jede Menge anderer spannender Dinge dazu gelernt.
Spannend wird es jetzt aber, wenn du auch dein Verhalten dabei beobachtest:
Wie reagierst du, als du bemerkst, dass dieser Trick dir nicht sofort liegt?
Bewertest du dich sofort selbst?
Willst du der Situation sofort ausweichen und dir einreden, diesen Trick brauchst du sowieso nicht?
Oder hängst du dich voll rein?
Fängst du vielleicht an, die Schuld deinen Lebensumständen zu geben, weil du nicht genug Zeit und Energie hast fürs Training?
Diese Fragen helfen dir dabei, die Macht deiner Gedanken zu erkennen. Denn im Grunde ist alles erstmal neutral. Es gibt einen Trick, dein Körper ist noch nicht bereit ihn umzusetzen.
Ob du das als gut oder schlecht bewertest, als Ansporn etwas Neues zu lernen oder als sofortige Niederlage, ist ganz dir überlassen.
Durch Selbstbeobachtung erhältst du wertvolle Erkenntnis über deine Motive, deine Prinzipien, dein Verhalten, deine Ziele usw.
Ganz oft erkennen wir dabei auch, dass wir vielleicht sogar auf etwas hinarbeiten, was überhaupt nicht unseren Werten entspricht oder uns gar nicht näher an unsere Ziele bringt.
Einige dieser Fragen können dir dabei helfen:
- Was ist mir wirklich wichtig?
- Was ist meine Motivation?
- Was sind meine Stärken und Talente?
- Was sind meine Schwächen?
- Was habe ich bisher erreicht?
- Was möchte ich noch erreichen?
Dabei ist es wichtig, ganz ehrlich mit dir zu sein. Das ist aber manchmal gar nicht so leicht. Denn wer macht sich schon gerne Gedanken über seine Schwächen? Aber auch hier gilt: Je ehrlicher und wertungsfreier du dich beobachten kannst, desto besser kannst du auch auf dich reagieren und ausgleichen. Sagen wir mal du erkennst in der Selbstbeobachtung, dass du immer wieder Probleme mit gestreckten Füßen hast – Herzlichen Glückwunsch, du weißt nämlich jetzt woran du arbeiten kannst. Oder du erkennst, dass du gerade in Workshop Situation oft unter Leistungsdruck gerätst. Auch hier hast du die Macht etwas zu verändern: Vielleicht sind Privatstunden für dich besser. Oder du arbeitest an deinem Mindset, um dich so zu akzeptieren wie du bist.
Hier noch ein paar hilfreiche Anreize für dich:
- Akzeptiere deine Fehler und Schwächen. Sie sind menschlich. Und gehören zu dir dazu. Sie geben dir außerdem Auskunft worauf du in deinem Leben noch mehr achten darfst
- Glaube an dich, deine Talente und Stärken. Genau wie deine Schwächen machen sie dich einzigartig und individuell. (Vielleicht bist du nicht besonders stark und kannst einige Figuren deshalb nicht ausführen, dafür hast du durch deinen Tanzhintergrund eine ganz besonders grazile Art, die Figuren umzusetzen)
- Erkenne deine Erfolge. Feiere dich für jeden Erfolg, egal wie klein. Führe ein Erfolgstagebuch
- Akzeptiere Konkurrenz. Lass dich von ihnen inspirieren und lerne davon
- Lege deinen Perfektionismus ab. Wenn du perfekt wärst, dann würde dein Leben sehr langweilig sein, denn du hättest nichts mehr zu lernen, nichts Neues mehr auszuprobieren
Selbstreflektion ist keine einmalige Angelegenheit, sondern eine andauernde aber wunderschöne Reise. Das Leben verändert sich, du veränderst dich und deine Ziele verändern sich ständig.
Checke regelmäßig (z.B. einmal im Monat ein) ob du mit deinen Werten und Zielen noch im Einklang bist. Vielleicht haben sich deine Prioritäten auch geändert. Der langersehnte Abfaller am Vertikaltuch ist dir gar nicht mehr so wichtig, weil du jetzt gerade einer lyrischen Choreographie mit grazilen Drehungen arbeitest.
Und wie immer liegt das Große im Kleinen.
Hier sind ein paar Tipps, wie du den Überblick behalten kannst:
- Führe ein Erfolgstagebuch. Schreib dir jeden Tag ein Wort oder einen Satz auf, was dein Erfolg dieses Tages war. (Am Ende des Monats hast du dann bereits 30 Erfolge und nach einem Jahr schon 365)
- Bau dir eine kleine Reflexionsroutine zum Abschluss an dein Training ein.
Hier sind ein paar Beispiele für Fragen, die du dir nach jeder Trainingseinheit/Workshop/ Show stellen kannst:
- Wie habe ich mich dabei gefühlt?
- Was habe ich heute gelernt?
- Was ist mir besonders leicht gefallen?
- Was ist mir besonders schwer gefallen?
- Was hat mich dabei besonders glücklich gemacht?
- Was hat mich zum Nachdenken gebracht?
- Was kann ich nächstes Mal besser machen?
- Was hat mich dabei näher an meine langfristigen Ziele gebracht?
Selbstreflexion ist viel Arbeit, braucht Geduld und erfordert auch oft, dass wir uns aus unserer Komfortzone hinausbewegen und uns mit erstmal unangenehmen Fragen auseinandersetzten müssen. ABER: Es lohnt sich!
Hier nochmal eine Auflistung der Vorteile von Selbstreflexion:
- Du lernst dich selbst besser kennen
- Du kannst dich selbst besser einschätzen
- Du lernst mit deinen Fehlern und Schwächen umzugehen
- Du kennst deine Talente und Stärken und kannst sie einsezten
- Du sparst Zeit
- Du kannst besser auf unangenehme Situationen reagieren
- Du erkennst, wenn du auf dem falschen Weg bist
- Du hast klare Vorstellungen von deinen Zielen
- Du wirst bewusster und selbstbewusster
Ich wünsche dir viel Freude auf deiner Reise zu mehr Selbstreflexion und viel Vergnügen dabei, dich selbst besser kennen zu lernen.
Deine Julia
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